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"In Christi nomine incipit vita sancti Martini episcopi..." - "Im Namen Christi beginnt hier das Leben des heiligen Bischofs Martin..."
Sulpicius Severus war ein aquitanischer Schriftsteller.
Geboren ist er um 363, gestorben um 420.
Sulpicius hatte sich in damals klassischer Weise auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitet; unter anderem studierte er vermutlich bei Ausonius Rhetorik. Nach dem frühen Tod seiner Frau lebte er als Asket; er war mit Martin, dem Bischof von Tours befreundet.
Sulpicius Severus wollte über den Heiligen ein Büchlein schreiben; er hielt es für ein Unrecht, wenn die Verdienste eines so großen Mannes verborgen blieben:
„Da mir vieles über seinen Glauben und seinen Tugendwandel zu Ohren gekommen war, unternahm ich eine mir höchst willkommene Pilgerfahrt zu ihm. Mich beseelte damals auch der glühende Wunsch, sein Leben zu beschreiben. So forschte ich einerseits ihn selbst aus, soweit er sich ausforschen ließ, andererseits zog ich von jenen Erkundigungen ein, die bei ihm waren und ihn kannten.
Er nahm mich damals mit erstaunlicher Demut und Güte auf. Er zollte mir so viel Aufmerksamkeit, dass er mich Armseligen zu seinem heiligen Mahle lud; er reichte mir dabei selbst das Wasser für die Hände und wusch mir abends eigenhändig die Füße.
Unser Gespräch drehte sich um nichts anderes, als wie ich der lockenden Lust der Welt und ihrer drückenden Bürde entsagen müsse, um frei und ungehindert dem Herrn Jesus folgen zu können. Als herrliches Beispiel aus unserer Zeit stellte er uns den hochangesehenen Paulinus (von Nola) vor Augen. Dieser habe seinen gewaltigen Reichtum dahingegeben, sei Christus nachgefolgt und fast der einzige, der in unseren Tagen die Weisungen des Evangeliums befolgt habe. Diesem, so betonte er oft, müsse ich nachfolgen, diesem ähnlich werden“ (Vita, 25).
In seiner „Vita Martini“ überliefert Sulpicius, was er von Martins Kindheit und Jugend, von seiner Zeit als Soldat und aus den Jahren danach bis zu seinem Wirken als Bischof von Tours weiß. Mit Gottes Hilfe gelingt seinem Helden alles, Martin ist für ihn ein apostelgleicher Bischof. Sulpicius Severus beendet seine Martins-Vita, ohne die letzten Lebensjahre mit den bedrückenden Erlebnissen in Trier zu berichten. Darüber erfahren wir erst in den drei Briefen und den drei Dialogen, die er nach Martins Tod verfasst hat. Auch in den zwei Bänden seiner Chronik (einer Weltgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jahr 400) berichtet er im 50. Kap. des zweiten Bandes von Martins Eintreten für den Irrlehrer Priszillian.
Um die „Vita“ des heiligen Martin von Sulpicius Severus richtig zu verstehen, müssen wir sie (ähnlich wie die Bibel) historisch-kritisch lesen und uns fragen: Warum und für welches Publikum hat er das Büchlein geschrieben? Welche Fragen beschäftigten damals die Christen, nachdem die Christenverfolgungen im römischen Reich gerade aufgehört hatten? In seinen Martinsschriften für ein gebildetes Publikum zeichnet Sulpicius Severus seinen Helden als den Prototyp eines christlichen Bischofs, eines perfekten Heiligen. Dabei schöpft er aus seiner tiefen Kenntnis sowohl der lateinischen Schriftsteller als auch der Bibel. Die „Vita“ erinnert an klassische Kaisergeschichten, sie atmet den Duft der Märtyrergeschichten der Verfolgungszeit und ist voll von Anspielungen auf das Neue Testament.
Nach unserem heutigen Verständnis ist der Verfasser kein Historiker, seine „Vita“ liefert neben historisch nachprüfbaren Fakten (vor allem nach Martins Ausscheiden aus dem Heer 356) viel Legendarisches. Mit diesem Stilmittel sollte Martin dem hochverehrten Mönchsvater Antonius, dem Gründer der Mönchsbewegung der Ostkirche als ebenbürtig dargestellt werden, diesen vielleicht sogar noch „übertreffen“. Das hat Folgen für eine gesicherte Chronologie.
Hans-Georg Reuter