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Als Martin getauft, aber noch nicht Bischof war, lebte er einige Zeit in einer von ihm bei Poitiers gegründeten Einsiedelei, um sich bei dem heiligen Hilarius von Poitiers zu vervollkommnen. In dieser Zeit schloss sich ihm ein Katechumene an, der sich in Martins Lebensweise unterweisen lassen wollte. Schon nach wenigen Tagen wurde er jedoch schwer krank. Ihn plagte heftig schweres Fieber. Martin aber war gerade abwesend. Als er nach drei Tagen wiederkam, fand er den entseelten Körper. Der Tod war so plötzlich gekommen, dass er ohne Taufe gestorben war. Die bekümmerte Schar der Brüder umgab den aufgebahrten Leichnam.
Unter Tränen und Seufzen kam Martin hinzu. Er fühlte sich innerlich vom Heiligen Geist erfüllt. Er wies die Brüder aus der Zelle, in der der Tote lag, verriegelte die Tür und legte sich über den toten Leib des verstorbenen Bruders. Eine Zeitlang betete er und fühlte dann, dass der Geist ihm eine besondere Kraft des Herrn mitteilte. Dann richtete er sich ein wenig auf, blickte den Toten unverwandt an und wartete voll Zuversicht auf die Frucht seines Gebetes und der göttlichen Barmherzigkeit.
Kaum waren zwei Stunden vergangen, da sah er, wie der Tote nach und nach alle Glieder bewegte; die Augen öffneten sich und begannen blinzelnd zu sehen. Mit lauter Stimme wandte sich der Bruder an den Herrn. Seine starken Dankesworte erfüllten die ganze Zelle. Als die vor der Zelle Stehenden dies vernahmen, kamen sie schnell herein. Ihnen bot sich ein wunderbares Schauspiel: Sie sahen den leben, den sie tot verlassen hatten. Auf diese Weise dem Leben zurückgegeben, empfing der Bruder sofort die Taufe. Er lebte noch viele Jahre und war der erste, der von Martins Wunderkraft Zeugnis geben konnte.
Dieser Bruder erzählte davon, dass er nach seinem Sterben vor den Richterstuhl geführt worden sei. Dort habe er einen furchtbaren Urteilsspruch vernommen, der ihn an den Ort der Finsternis zu den Verdammten verwies. Plötzlich sei dem Richter von zwei Engeln bedeutet worden, das sei jener Mann, für den Martin bete. Da wurde den beiden Engeln aufgetragen, ihn dem fürbittenden Martin wiederzuschenken und dem früheren Leben zurückzugeben. Von da an war Martin nicht nur als Heiliger, sondern als Wundertäter berühmt.
Nicht sehr viel später kam Martin an dem Landgut eines Lupizinus vorüber, eines angesehen Mannes. Martin vernahm das laute Schreien und Klagen einer trauernden Menge. Er näherte sich und fragte nach dem Anlass des Klagens. Man erklärte ihm, einer der Knechte habe sein Leben mit dem Strick beendet. Nach dieser Auskunft ging er in die Kammer, in der der Tote lag, und schickte die Leute hinaus. Er legte sich über die Leiche und betete. Bald nahm das Gesicht des Toten wieder Farbe an. Er richtete die noch müden Augen auf Martins Gesicht und versuchte sich langsam aufzurichten. Dann fasste er Martine Rechte und stellte sich auf die Füße. Er ging mit Martin bis zur Eingangshalle des Hauses, wo ihn alle Leute sahen.
Martin besaß die Gabe der Krankenheilung in einem solchen Ausmaß, dass kaum ein Kranker zu ihm kam, der nicht augenblicklich die Gesundheit wiedergefunden hätte. Die antiken lateinischen Lebensbeschreibungen des Heiligen enthalten dazu viele Erzählungen.
385 oder 386 hielt sich Martin in Trier auf. Dort litt ein Mädchen an sehr schwerer Lähmung. Ihr Körper versagte schon seit langer Zeit jeglichen Dienst. Eigentlich war schon der ganze Leib des Mädchens tot; es war nur noch ein schwacher Lebenshauch in ihr. Schon standen die Verwandten voll Trauer bei der Sterbenden und warteten auf das Begräbnis.
Plötzlich ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt die Botschaft, Bischof Martin sei gekommen. Als der Vater des Mädchens davon hörte, lief er atemlos, um für seine Tochter zu bitten. Doch Martin hatte gerade die Kirche betreten. Vor allen Anwesenden und den versammelten Bischöfen umschlang der Greis weinend Martins Knie und sagte: "Meine Tochter stirbt an einer schrecklichen Krankheit. Aber noch viel grausamer als der Tod selber ist, dass sie schon jetzt nur noch im Geist lebt, weil ihr Fleisch schon fast tot ist. Ich bitte dich darum, dass du zu ihr gehst und sie segnest. Ich vertraue darauf, dass ihr durch dich die Gesundheit zurückgeschenkt werden kann". Martin war durch diese Rede verwirrt und entsetzt und versuchte zu fliehen. Er sagte, solches gehe über seine Kraft. Der alte Mann habe eine völlig falsche Meinung über ihn. Es sei absolut unwürdig, dass Gott durch ihn Zeichen seiner Wundermacht wirke. Aber der Vater ließ sich nicht abweisen, weinte heftig und flehte, die Sterbende doch aufzusuchen.
Schließlich drängten auch die anwesenden Bischöfe Martin, zu der Tochter des Bittstellers zu gehen. Da ging er endlich zu dem Haus des Mädchens. Vor der Tür stand eine große Menge und wartete, was Martin tun werde. Zuerst warf sich Martin auf den Boden und betete. In solchen Fällen waren dies seine gewöhnlichen Waffen. Dann schaute er die Kranke an und ließ sich Öl geben, segnete es und goss den wunderkräftigen heiligen Trank in den Mund des Mädchens. Diese erhielt sofort wieder ihre Stimme zurück. Nach der Berührung durch Martin belebten sich auch die einzelnen Glieder wieder, bis sie schließlich auf festen Füßen vor das Volk treten konnte, das die Heilung bezeugt.
In Paris geschah es, als Martin mit zahlreichen Begleitern durch das Stadttor zog, dass er einen Aussätzigen mit schrecklich entstelltem Gesicht, das Schrecken einjagte, küsste und segnete. Auf der Stelle war jener von aller Unreinheit befreit. Am anderen Tag kam jener mit glänzend weißer Hautfarbe zur Kirche, um für die wiedererhaltene Gesundheit zu danken.
Zur Zeit der Beisetzung des heiligen Martin gab es zwei Gesellen, der eine blind, der andere lahm. Der Blinde trug den Lahmen auf dem Rücken, und der Lahme wies dem Blinden den Weg. Sie bettelten miteinander und verdienten großes Gut.
Da hörten sie erzählen, dass bei Sankt Martins Leichnam viele Kranke gesund geworden seien. Und weil sein Leib am Tag seiner Überführung in Prozession um die Kirche getragen wurde, waren sie bange, der Leib würde bei dem Haus vorübergetragen werden, in dem sie wohnten und sie würden plötzlich geheilt werden. Sie aber wollten nicht geheilt werden, damit sie nicht die Ursache ihres gewinnbringenden Einkommens verloren. Darum flohen sie aus der Straße und gingen in eine andere Gasse, durch den der Leichnam, wie sie glaubten, nicht getragen würde.
Aber als sie flohen, begegneten sie dem Leichenzug unversehens. Und weil Gott den Menschen manche Wohltat wider ihren Willen tut, wurden sie beide gegen ihren Willen gesund und waren doch darüber betrübt.